14.04.2024 - Misericordias Domini

Gottesdienst mit Abendmahl


um 10:00 Uhr im Katharina von Bora-Haus

mit  Prädikant Peter Schickel


Nachstehend die Predigt zum Nachlesen.

 

 

Predigt am Sonntag Misericordias Domini 2024 von Prädikant Peter Schickel

 

Evangelium vom guten Hirten,  Joh 10,11-16 (27-30)

 

11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, 13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden. 27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 29 Was mir mein Vater gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann es aus des Vaters Hand reißen. 30 Ich und der Vater sind eins. 

 

Alttestamentliches Predigtwort von Hagar und Ismael, 1.Mose 16,1-16

 

1 Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar. 2 Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der HERR hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarais. 3 Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte. 4 Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. 5 Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der HERR sei Richter zwischen mir und dir. 6 Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt. Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh. 7 Aber der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur. 8 Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen. 9 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand. 10 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können. 11 Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört. 12 Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen. 13 Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht[1]. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat. 14 Darum nannte man den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht[2]. Er liegt zwischen Kadesch und Bered. 15 Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael. 16 Und Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als ihm Hagar den Ismael gebar. 

 

Predigt

 

Liebe Gemeinde,

der gute Hirte ist das Leitbild dieses Sonntags. Für mich ist es schön in der Herde von Jesus Christus mit dabei zu sein – mit allem was dazu gehört, behütet im Glauben und im Leben wie in einer großen Familie – seiner Familie. Vielleicht muss man sich erst das Gegenteil vorstellten, nämlich vermeintlich nicht Teil einer Familie sein zu dürfen, wie die verzweifelte Hagar, um das wertzuschätzen. Ja, Hagar wird von einer Familie letztlich sogar in die Wüste geschickt, aber dort findet sie Gott.

Heute ist es dagegen manchmal sogar schwierig zu vertreten, in diesem Sinne voller Freude ein Schaf der großen Familie Gottes zu sein. Wer will heutzutage schon mit einem Herdentier verglichen werden? Wo bleibt die Individualität, die Selbstentfaltung, die Eigenmächtigkeit? Anders gefragt, wie kann ich da mein eigenes Ding machen in meinem eigenen Leben?

Aber fangen wir erst einmal mit einer kleinen Lockerungsübung an:

Darf ich Sie heute ausnahmsweise mal als „liebe Schafe“ ansprechen?

Ja? Danke!

Also, wohlan!

Liebe Schafe und Böcke der hiesigen Gemeindeherde,
alle meine lieben Mit-Schafe,

sehen sie! Das fühlt sich irgendwie komisch an, oder?

Ja, ja, mit einem Schaf verglichen zu werden, das ist vermeintlich eher kein Kompliment. Oft wird Unbedarftheit mit Schafen in Verbindung gebracht. Aber die Hirten wissen, hier liegt ein Irrtum vor.

Schafe sind ganz und gar nicht dumm.

Schafe sind sehr intelligente Tiere, aber sie sind fast völlig blind.

Sie können kaum etwas sehen, nur hell und dunkel können sie gut unterscheiden.

Sie können also ihren Hirten nicht sehen, aber fühlen und hören. In Bezug auf Gott sind sie den Menschen darin ähnlich. Auch wir können ihn normalerweise nicht sehen, aber sein Wort hören – ihn hören. Das tun wir heute auch im Gottesdienst.

Und … Schafe sind sogar sehr gute Zu-Hörer. Das Gehör ist bei Schafen das wichtigste Sinnesorgan, sie können aus 100 Männerstimmen genau die Stimme ihres Hirten heraushören. Sie sind absolut fixiert auf die Stimme ihres Hirten. Sie kennen diese Stimme und folgen ihr.

Schafe vertrauen ihrem Hirten deshalb ihr ganzes Leben an.

Sie verteidigen sich nicht selbst, sie hoffen auf Schutz von ihm. Ohne ihn sind sie verloren. Oder haben Sie schon mal ein Schaf beim Boxkampf gesehen?

Dem Hirten Jesus vertrauen, ihm das eigene Leben anzuvertrauen, Schaf zu sein in diesem Sinn, das ist eigentlich ein Kompliment. Jesus spricht in unserem Evangelium heute:  

Ich bin der gute Hirte. (Joh 10,14)
27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 
30 Ich und der Vater sind eins. 

Ich und er Vater sind eins!

Jesus als der gute Hirte schaut auf seine Schafe, denn er ist eins mit dem Vater, mit Gott. Seine Schafe können gar nicht fehl gehen.  Sie haben Gottvertrauen. Sie wissen, dass ihnen nichts mangeln wird, auch wenn sie noch länger in der Wüste unterwegs sein müssen. Sie werden zur Quelle geführt. Als der gute Hirte gibt Christus sogar sein Leben für die Seinen.

Ja, das tut dieser gute Hirte für uns - im Gegensatz zum Mietling, wie ihn Luther nennt, der vor allem auf seine eigene Agenda schaut und dem Leben-Schenkenden-Gott dadurch ins Handwerk pfuscht - ohne Gottvertrauen und ständig von Anfechtungen verführt. Der Mietling flieht und lässt die Seinen im Stich bei der ersten Gelegenheit, wenn’s zu heiß wird und das kühle Wasser ausgeht, wenn einmal keine grünen Auen mehr in Sicht sind.

Wie der gute Hirte sich - im Gegensatz dazu - um uns kümmert, haben wir gerade im Psalm 23 gehört. Es ist übrigens der Lieblingspsalm der Deutschen! Viele von Ihnen kennen diesen Psalm, vielleicht haben Sie ihn in Ihrer Konfirmandenzeit auswendig gelernt. 

Dieser Psalm verrät uns, was ein guter Hirte tut, oder besser: worauf sich die Schafe bei ihrem guten Hirten verlassen können.

Wenn der Herr mein Hirte ist, dann wird es mir an nichts mangeln.

Er weidet und führt mich; er erquickt meine Seele.

Ich brauche kein Unglück fürchten, weil er da ist.

Er kümmert sich um jedes Tier, um die Großen und die Kleinen, um die Schwachen und die Starken.

Wenn wir uns von ihm gesehen und angenommen wissen, dann werden wir diesem Hirten folgen, vielleicht sogar wieder zurück in die kurzzeitige Demütigung, wie bei Hagar. Dabei bestimmt er uns nicht. Er bindet uns nicht am Tor von Abrams Familie fest, der Familie der Juden, Christen und Araber, jenseits aller Religionsgrenzen, Engstirnigkeiten und Konflikten zum Trotz.

Übrigens Abram kommt in der Geschichte gar nicht so gut weg, wegen seiner verkorksten Familienverhältnisse. Hat er vielleicht doch nicht mehr an die Verheißung Gottes von der Vielzahl der Nachkommen geglaubt – so viel wie Sterne am Himmel sind. Warum pfuscht er sonst selbst Gott ins Handwerk – ins Handwerk des Lebens? Na, ja, in der Geschichte heißt er auch noch Abram ohne „h“. Das „h“ für Abra-h-am wird ihm erst später verliehen. Es steht für den Geist Gottes.

Christus dagegen lässt uns leben. Er sperrt uns nicht ein. Wir dürfen selber unseren Weg gehen in Freiheit. Sonst wäre seine Liebe nicht echt. Deshalb können wir auch aus freien Stücken zu ihm „umkehren“ und sind dann keine „irrenden verlorenen Namenlosen in der Wüste“ mehr. 

Wir führen unser Leben selbst, treffen Entscheidungen, übernehmen Verantwortung. Gleichzeitig aber lassen wir uns doch leiten von den Aufgaben und den Werten, die wir nicht selbst hervorgebracht haben, die plötzlich da sind, von ihm geschenkt, wie eine Quelle in der Wüste - unverfügbar.

Ihm Vertrauen zu können ist die Frucht der Begegnung an der Wasserquelle und die Gewissheit seiner liebevollen Fürsorge.


Liebe Gemeinde,

Vertrauen - Loslassen - einfach sein.

Liebe Gemeinde, mit dem Wort Jesu als dem guten Hirten im Ohr liest sich die Geschichte der Hagar - unser Predigtwort aus dem alten Testament - wie eine Interpretation des 23. Psalms, den sie alle kennen.
 

Sie, eine Namenlose irrt durch die Wüste.

Sie, eine Fremde ohne Woher und Wohin.

Sie, eine unwürdige Leihmutter ohne Familie. 

Er, der Lebendige, aber, findet sie. 

Er sieht sie an. 

Er schenkt ihr Leben an der Quelle.

Er nennt sie beim Namen. 

Er verheißt den Sohn Ismael - Gott hat erhört.

Er stärkt sie für ihren Weg - zurück.

Er schenkt ihr Zukunft um seines Namens willen.

Sie nennt ihn dafür: Gott, der mich sieht.

 

Das ist das Geheimnis der Schafe aus der wahren Familie Gottes. Sie haben einen Gott, der sie sieht.

Auch andere waren allein in der Wüste im finsteren Tal, Mose zum Beispiel, als er Gottes Namen hörte. Er hütete fremde Schafe als er die Stimme des Engel Gottes aus dem brennenden Dornbusch vernahm: „Ich bin, der ich bin. Ich bin da und ich werde es immer sein.“

Das ist das Geheimnis der Schafe aus der Familie Gottes.

Wenn ich den begrenzten Dingen im Leben mit dem Unbegrenzten begegne, dann führt das zum Heil.

Der gute Hirte ist da, der Lebendige - ich bin nicht allein. Er ist für mich da.

Ich bin berufen, seine Stimme zu hören und ihm zu folgen. Ich bin ein Schaf aus der Familie Gottes. Mit allem was dazu gehört, egal was andere davon halten, denn ich kenne ihn und er kennt mich. Mit allem Gutem und mit allem Schlechtem. Ich bin, was ich bin. Ich darf ich selbst sein. Ich darf Teil seiner Selbst sein.

Und er sieht mich. Er schaut auf mich.

Er ist mit mir und er wird mit mir sein
und ich bin bei ihm und ich werde bei ihm sein.

Und wenn ich nicht mehr kann, dann trägt er mich nach Hause.

Amen.